Ausblick Jahressteuergesetz 2022
28. September 2022Vom (Un-) Nutzen eines Compliance Systems
4. Oktober 2022Arbeitgeber sind zur Erfassung der Arbeitszeit verpflichtet. Diesen Grundsatz hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) kürzlich in seinem Beschluss vom 13.09.2022 (Az.: 1 ABR 22/21) klargestellt. Die Entscheidung aus Erfurt steht im Zusammenhang mit dem als „Stechuhr-Urteil“ bekannt gewordenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2019 (Az.: C 55/18). In diesem Urteil wurde Arbeitgebern bereits auferlegt, Systeme zu schaffen, um die tägliche Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erfassen. Eine nationale Umsetzung dieses Urteils erfolgte bislang nicht. Das Bundesarbeitsgericht hat nun mit dem Beschluss auf das Urteil reagiert, der schon jetzt besondere Beachtung erfährt und von verschiedenen Seiten auf Kritik stößt. So ordnet etwa die Arbeitgebervereinigung BDA den Beschluss als „überstürzt und nicht durchdacht“ ein. Karl-Josef Laumann (CDU), Arbeitsminister Nordrhein-Westfalens, hingegen befürwortet die Entscheidung und fordert eine rasche Umsetzung in nationales Recht. Es ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber in Folge dieser Entscheidung eine baldige Umsetzung in deutsches Recht anstrebt, nicht zuletzt um Konsequenzen seitens der europäischen Union, etwa in Form eines Vertragsverletzungsverfahrens zu vermeiden.
Der Entscheidung des BAG lag im Ausgangspunkt im Rahmen des obigen Beschlusses eine weniger weitreichende Frage zur Mitbestimmung des Betriebsrates zu Grunde. Im Zuge der rechtlichen Beurteilung war jedoch auch eine Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) erforderlich. So regelt das ArbSchG in § 3 Abs. 2 Nr. 1, dass Arbeitgeber für eine „geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“ haben. Das BAG legt diese Vorschrift dahingehend aus, dass darunter auch die Erfassung der Arbeitszeiten fällt. Damit nimmt das höchste deutsche Arbeitsgericht dem Gesetzgeber gewissermaßen die Zügel aus der Hand und sorgt für eine Klärung der Frage, wie das Europarecht in Deutschland umzusetzen sei. Laut Koalitionsvertrag der Ampelkoalition steht zumindest eine Prüfung des Arbeitszeitrechts im Lichte der EuGH-Rechtsprechung auf der Agenda. Der Beschluss des BAG dürfte diesen Prozess beschleunigen.
Die Folgen der Entscheidung
Arbeitgeber sollten aufgrund der Entscheidung nun, schon bevor ein entsprechendes Gesetz zur Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben erlassen wird, reagieren. Die Einzelheiten, was notwendig sein wird, sind insoweit noch offen. Aus der bisher veröffentlichten Pressemitteilung des BAG zum gegenständlichen Beschluss gehen keine Details hervor, wie bzw. ob überhaupt Maßstäbe durch das Bundesarbeitsgericht zur Umsetzung der Arbeitszeiterfassung festgelegt werden. Fest steht jedoch bereits jetzt: Es müssen künftig die Arbeitsstunden von Arbeitnehmern erfasst werden Es bleibt zu hoffen, dass die Verpflichtungen zur Zeiterfassung nicht pauschal und unwiderleglich gelten, sondern für verschiedene Konstellationen unterschiedlich gehandhabt werden bzw. Ausnahmen gesetzlich geregelt werden. Die Erfassung der Arbeitszeit muss auch in Zukunft nicht mittels „Stechuhr“ geschehen, es wird wohl zulässig sein, dies im Wege digitaler Erfassung durchzuführen.
Das Aus für Home-Office und Vertrauensarbeitszeit?
Vertrauensarbeitszeit und exakte Arbeitszeiterfassung stehen sich schon sprachlich entgegen. Vertrauensarbeitszeit dürfte so, wie sie bisher umgesetzt wird, nicht mehr mit dem neuen Beschluss vereinbar sein. Aktuell gilt in vielen Bereichen diesbezüglich der Leitsatz, dass es auf die Erledigung der Aufgaben ankommt, nicht in welcher Zeit Arbeitnehmer präsent sind. Insbesondere Arbeitnehmern, die im Home-Office arbeiten, kommen solche Regelungen entgegen, da so Arbeit und private Angelegenheiten gut miteinander vereinbar sind. Die Ampel-Koalition war sich jedoch einig, insbesondere im Zeichen der Pandemie weiterhin Arbeitgeber bei flexiblen Arbeitszeitmodellen zu unterstützen. Es ist also zu erwarten, dass mit gewissen Anpassungen weiterhin Home-Office und Vertrauensarbeitszeit möglich sein werden. Bundesarbeitsgerichtspräsidentin Gallner macht jedenfalls Hoffnung, dass für die Arbeitgeber Gestaltungsspielraum über das „wie“ der Arbeitszeiterfassung bestehe. Die Begründung des Beschlusses wird für November erwartet. Im Übrigen bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber auf diesen Beschluss reagiert und Ausnahmen (vgl. oben) zulässt.
Wir werden Sie bzgl. des Inhalts des Beschlusses in Form eines Updates im November 2022 auf dem Laufenden halten, damit Sie schnellstmöglich und rechtssicher auf die neue Rechtsprechung des BAG reagieren können. Für etwaige Rückfragen zu den aus der Entscheidung resultierenden rechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen bzw. rechtlichen (Über-)Prüfung der ggf. bereits vorhandenen Arbeitszeiterfassungssysteme stehen wir Ihnen zur Verfügung. Sprechen Sie uns gerne an!